Was ist Yoga?

Das ist doch klar, wirst Du vielleicht sagen, Körperhaltungen (Asanas) üben. Und tatsächlich wird Yoga heute im Allgemeinen mit der körperlichen Praxis identifiziert.

Im Yogasutra des Patanjali, der wichtigsten yogaphilosophischen Schrift, findet sich zur gestellten Frage allerdings eine ganz andere, kurze und einprägsame Definition: „yogaś citta vrtti nirodah“ – Yoga ist die Hinderung der Tätigkeiten des Bewusstseins. Daraus ergibt sich: Yoga ist also vor allem eine geistige Disziplin.

Doch was sind das für Bewusstseinstätigkeiten? Patanjali zählt fünf verschiedene auf:

  • Beweise (sinnliche Wahrnehmung, Schlussfolgerung, Überlieferung)
  • Missverständnis (Irrtum)
  • falsche Vorstellung (Wortwissen ohne Realität)
  • Tiefschlaf (Fehlen von Bewusstheit)
  • Erinnerung (Nicht-Schwund empfundener Objekte)

Diese Tätigkeiten sind in meinem Alltag deshalb ein Problem, weil sie mein Bewusstsein trüben. Ich stecke die Dinge in Schubladen, sehe alles durch eine konzeptbehaftete Brille, durch einen Filter. Die Bewusstseinstätigkeiten konditionieren meinen Verstand. Wenn zwei Menschen das gleiche wahrnehmen, werden sie es unterschiedlich interpretieren. Jeder greift auf andere Erfahrungen und Hintergründe zurück. Doch wer hat die richtige Interpretation? Vermutlich keiner – weil sie auf individuellen Konzepten basiert. Vielleicht schätzen wir die Situation auch einfach nur falsch ein, weil der Geist, das Bewusstsein nicht klar, sondern getrübt ist.

Auf meiner Wahrnehmung basieren meine Bewertungen, meine Reaktionen, meine Handlungen.

Frage dich einmal: wann bist Du zufrieden mit deinen Handlungen, wann sind deine Erfahrungen angenehm oder unangenehm? Und wie könntest Du es gegebenenfalls schaffen, anders zu reagieren, wenn Du z.B. durch eine Situation getriggert wirst?

Patanjali sagt dazu: werde Dir erst einmal Deiner Ansichten und Konzepte bewusst und werfe sie nachdem Du sie Dir angesehen hast über Bord. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Das geht nur, indem ich Konzept für Konzept erkenne, nach und nach ablege und irgendwann ohne sie auskomme, weil ich erkannt habe, dass mir diese Konzepte nicht dienlich sind.

Das muss ich üben, indem ich versuche achtsamer zu werden und Situationen immer klarer wahrzunehmen. Fokussiere Deine Aufmerksamkeit – mach eine Sache und nicht zwei Sachen gleichzeitig. Sei möglichst immer im Hier und Jetzt.

Wenn ich achtsam bin, kann ich lernen, Situationen genauer wahrzunehmen. Eine besonders tiefe Form von Achtsamkeit ist Meditation. Ich beobachte mich selbst, meinen Körper, meine Gedanken, meine Gefühle…

Natürlich gibt es viele verschiedene Meditationsformen. Die Ashtanga Yoga Asanapraxis ist auch eine Form der Meditation – Meditation in Bewegung. Der äußere Rahmen ist immer der gleiche – ich kann mich immer auf die Bewegung, Atem und Konzentrationspunkte ausrichten. Wenn das alles gut klappt, dann komme ich in den Flow. Wenn ich das in meiner Praxis schaffe, dann kann ich das auch in meinen Alltag mitnehmen. Und dann bin ich einen großen Schritt weiter in „yogaś citta vrtti nirodah“, also in der Praxis, meine Gedankentätigkeit zur Ruhe zu bringen.

(Dieser Text basiert auf einem Mitschrieb während meiner Ausbildung in der Ashtanga Yoga Werkstatt Köln)